Von Muxia nach Finisterra
Wetter: Morgens düstere, tiefhängende Wolken, vormittags zum Teil sehr heftige Regenschauer, nachmittags wieder Sonnenschein
Düstere, schnell ziehende Wolken erwarteten mich, als ich heute Morgen auf die Suche nach einer offenen Café-Bar ging. Neben dem zentralen Abfahrplatz für Busse wurde ich fündig. Bei Milchkaffee und Toastbrot mit Butter und Marmelade sinnierte ich dann darüber nach, wo meine heutige Etappe beginnt. In Reiseführern und im Internet gibt es Beschreibungen dieser Etappe in die anderen Richtung – also von Finisterra nach Muxia – aber wo man startet, wenn man von Muxia nach Finisterra läuft, konnte ich nicht finden.
Da betrat ein amerikanischer Pilger das Café. Wir kamen ins Gespräch, auch über meine heutigen Pläne, und er zeigte mir auf einer Karte in seinem Handy, wo es losgeht. Er warnte mich noch vor einer grossen Strassenbaustelle in etwa 5 km Entfernung, in der die gelben Pfeile des Jakobswegs verschwunden seien.
Dank dieser überraschenden Hilfe fand ich den Weg aus Muxia auf Abhieb, in der Baustelle konnte ich nicht erkennen, wo es weitergeht. Was tun? Es war niemand in Sicht, den ich hätte fragen können. Da tauchte aus dem Nichts ein peruanischer Pilger auf. Mit Hilfe einer Jakobsweg-Navigations-App auf seinem Handy war schnell klar, welchen Weg wir nehmen mussten. Auf dem rannte der Peruaner dann weiter; ich hoffe, er hat mein Danke noch gehört.
Den peruanischen Pilger habe ich während der letzten Wochen schon mehrmals getroffen. Er hat einen offenen Blick und ist immer gut drauf, aber hat es immer super eilig. Er taucht immer schwitzend hinter mir auf, mit Handschuhen und Teleskopstöcken, Wir wechseln immer ein paar Sätze, bevor er weiter rennt. Wieso er mich immer wieder überholt, ist mir ein Rätsel. Ist er vielleicht Langschläfer und rennt dann, um noch zum Etappenziel zu kommen? Das wirklich merkwürdige ist, dass er schon ein paar Mal aufgetaucht ist, wenn ich nicht wusste, wo es weitergeht. Er hat mich dann jeweils in die richtige Richtung gewiesen und ist weitergerannt.
Ja, ich weiss, eine weitere Geschichte vom Jakobsweg, die man nicht so recht glauben will…
Nach der Baustelle ging es lange Zeit bergauf. Der Himmel wurde immer dunkler und es fing bald heftig zu regnen an. Der kam zum Glück von oben und so bin ich mit meinem Schirm weiter über den Berg gestapft. Nach einem langen Abstieg auf der anderen Seite wurde es endlich wieder heller. Eine Weile später schien sogar wieder die Sonne und das blieb so bis zum Erreichen meines Etappenziels, dem Städtchen Finisterra an Spaniens Westatlantikküste.
Die Versorgung mit Essen und Trinken in Café-Bars war heute sehr schwierig. Im Ort auf etwa halber Strecke gab es drei, aber alle drei waren geschlossen. Zum Glück tauchte nach 3/4 der Strecke Haus und Garten von Menschen auf, die mich an Hippies erinnerten. Haus und Garten standen offen für jeden. Es gab diverse Dinge zum Essen und Trinken; davon konnte man sich nehmen, so viel man wollte, und bleiben, so lange man wollte. Ein Glas stand da für Geld, dass man nach eigenem Ermessen für das Verbrauchte daliess.
Wie wunderbar – dass es das noch gibt! Ich habe dort Hunger und Durst gestillt, mich etwas ausgeruht und bin dann gestärkt weitergelaufen.
In Finisterra bin ich in der Pension abgestiegen, in der ich schon vor 3 Jahren geschlafen habe. Im 4. Stock bekam ich ein Zimmerchen mit Panoramaaussicht auf den Hafen der Stadt. Nach den vergangenen langen Tagesetappen waren diese 4 Stockwerke ohne Fahrstuhl eine echte Herausforderung. Die Aussicht war das Treppensteigen aber wert.
Westlich von Finisterra gibt es eine Landzunge im Meer, dessen Ende im Mittelalter das ‚Ende der Welt‘ war. Bis dorthin laufen viel Pilger nach dem Erreichen von Santiago de Compostela und beenden ihre Wanderung mit dem Betrachten des Sonnenuntergangs. Mache verbrennen danach noch ein verschlissenes Kleidungsstück und kehren mit neuen Kleidern und innerlich erneuert nach Hause zurück.
Auch ich bin noch zusammen mit anderen Pilgerbrüdern und -schwestern die 3.5 km zum Kap Finisterre gelaufen. Die Sonne ist orangen im Meer versunken. Der Weg zurück nach Finisterra waren meine ersten Schritte zurück ins alte Leben.
Die Frage ist nun, wie man die die Erfahrungen des Jakobswegs und die Träume von einem anderen, besseren Leben, die in vielen von uns Pilgern entstanden sind, mit ins alte Leben nimmt und verwirklicht?
